Dr. Götz Borgwardt zum 80.Geburtstag

Er hat sie erreicht, die „magische" 80, die für einen Chirurgen vor Jahrzehnten noch rar war. Wie eh und je wirkt er geistig lebendig und wendig, anregend in Unterhaltungen, bereichernd durch seine Diktion.

Dr. Borgwardt ist Ur-Berliner. In der Stadt am 22.Juli 1933 geboren, überstand er mit mehrfachen Ausbombungen die Schrecken des II. Weltkrieges, die schwierige Nachkriegszeit außerhalb von Berlin. Abitur 1951. Im gleichen Jahr Beginn des Medizin-Studiums an der Humboldt-Universität. Staatsexamen 1957. Facharzt für Pädiatrieund Kinderchirurgie. Zuletzt Chef der einst größten kinderchirurgischen Einrichtung Berlins.

Vor 52 Jahren, am 01.02.1961, führte ihn sein Weg in die Kinderchirurgische Klinik im Klinikum Berlin-Buch, zu Frau Dr. sc. med. Ilse Krause. Nach 37 Jahren und acht Monaten nahm er Abschied, als geachteter Chef.

Seine kinderchirurgischen Anfänge fallen in die Zeit der im Aufbruch befindlichen Kinderchirurgie in Europa. Aus ihrer Entwicklung wissen wir, dass dieser von Gegenstimmungen begleitet war. Um die Entfaltung des Faches in Bewegung zu halten, mussten „die traditionsgebundenen Chirurgen von den Vorzügen einer um ihrer selbst willen betriebenen Kinderchirurgie überzeugt werden", wie es der Ehrenpräsident der DGKCH, Fritz Meißner (Leipzig) 1964 forderte. Seit 1963
gab es zwar in der Bundesrepublik Deutschland eine Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie und in der DDR seit 1964 eine Arbeitsgemeinschaft Kinderchirurgie, der Weg bis zur Akzeptanz eines der Pädiatrie adäquaten operativen Fachs blieb jedoch mühsam. Rückblickend auf die damalige Zeit waren nicht nur die Allgemeinchirurgen zu bekehren, sondern auch Kinderärzte. Und so fügte es sich, dass Dr. Borgwardt als Facharzt für Pädiatrie und Kinderchirurgie seinen pädiatrischen Kollegen vorleben konnte, wie notwendig doch Kinder von Geburt an den für sie kompetenten Chirurgen brauchen. Das vermittelte er auf vielfache Weise durch seine ärztliche Zweifachkompetenz. Er war ein Glücksfall für die lokalen „Grabenkämpfe", ein Vermittler zwischen den Fachgebieten mit jenen, die dem Fach zur Verselbstständigung verhalfen, die Bindung zur Allgemeinchirurgie und Pädiatrie aber nie lösten. Er konnte Kinderärzten auf Augenhöhe begegnen, er war einer von ihnen, aber auch einer der Kinderchirurgen. Diese wechselseitige Zuordnung des Fachwissens war der Schlüssel besonderer Vertrautheit. Die drei Kinderkliniken mit insgesamt 600 Betten im Klinikum Berlin-Buch und die Kinderchirurgische Klinik mit 133 Betten wurden natürliche Partner. Die damals weltweit harmonierende Familie der noch geringen Zahl an Kinderchirurgen trat, dank persönlicher Kommunikation und regen Erfahrungsaustauschs, aus dem Schatten des „Error and Trial" ins Licht der anderen Fachdisziplinen. Präsenz auf Kongressen der Chirurgen und Pädiater förderte die aktive Komponente des Faches innerhalb der Medizin. Dazu trug Dr. Borgwardt beispielsweise mit Vorträgen und Seminaren in etlichen Zentren Australiens bei; die Australische Gesellschaft für Kinderchirurgie anerkannte dies durch Verleihung der Ehrenmitgliedschaft. Seine englischen Sprachkenntnisse bauten internationale Brücken, nicht nur zur BAPS. Seine fachliche Reputation veranlasste die BAPS, ihm die Leitung einer Sitzung auf dem BAPS-Kongress 1995 in Guernsey zu übertragen. Auf dem mehrtägigen Workshop on Intersex in Istanbul moderierte er mehrere Sitzungen. Von 1990 bis 1992 war er „Oversea's Council Member" der BAPS, in den Jahren bis zum Ruhestand wurde er zum „Editorial Consultant" des Journal of Pediatric Surgery berufen.

Wenn man seine publizistische und operative Tätigkeit betrachtet, zeichnen sich Schwerpunkte ab: Engagierte Umsetzung der Meißner'schen Maxime, Fehlbildungschirurgie, Intersexualität (sein „ästhetisch geführtes Skalpell" modifizierte eine Operationsmethode), konservative und operative Behandlung von soliden Malignomen und Medizingeschichte bis in die Gegenwart. Um weitere Verdienste zu würdigen, müssten seine Arbeiten zu erwählten Themen genannt werden: das geschliffene Wort seiner Vorträge, Buchbeiträge, die Erarbeitung des kinderchirurgischen Wortschatzes in einem medizinischen Lexikon, Lehrfilme, Leitung von Symposien, Vorsitze auf nationalen und internationalen Kongressen. Für die operative Korrektur somatischer Intersexualität war er bekannt und unterhielt eine enge Kooperation zu endokrinologischen Pädiatern der Charité.

Am 01. Oktober 1998 trat er in den Ruhestand, mit Autorität, ohne jemals autoritär gewesen zu sein. Bis jetzt - keine Anzeichen von Ruhe. Schon einige Monate später folgte er einem Ruf aus Istanbul. Dort hielt er auf der Tagung der European Society of Pediatric Urologists anlässlich des 100. Jahrestages von Wilms' Publikation über die Mischtumoren der Niere den Festvortrag zur Lebensgeschichte Max Wilms. Im Jahr darauf sprach er über Wilms in Amsterdam. Er publizierte eine längere Abhandlung über Bernhard Schapiro, der als erster die Hormonbehandlung des Kryptorchismus empfahl, über Conrad Ramstedt (dessen Büste er aus seinem Gartenhaus rettete und bis zum Ruhestand in seinem Dienstzimmer aufstellte, bis er sie an Ramstedts Klinik in Münster übergab). 1985 gelang es ihm (in der DDR), eine Kopie der Büste anfertigen zu lassen, die er bei einem entsprechenden Vortrag in Birmingham der BAPS überreichte. Etwas kürzere Skizzen erinnern an Sir Denis Browne zu seinem 100. Geburtstag, an Charles Edward Vogt, seinerzeit Radiologe am Boston Children's Hospital, wegen seiner noch heute anwendbaren Klassifikation der Formen der Ösophagusatresie und an Ilse Krause aus Anlass deren 80. Geburtstag 1997.

Bemerkenswert sind nie erloschene Kontakte auch zu überseeischen Medizinern. Hier sind die Zwillinge Prof. Jay und Prof. Stuart Levy (San Francisco bzw. Boston) zu nennen, die er im Sommer 1961 als Medizinstudenten kennen lernte und die ihn noch jetzt besuchen. Jay Levy hat einen Namen als Co-Discoverer des AIDS-Virus, Stuart leitet ein Institut zur Bekämpfung der Antibiotika-Verfütterung an Schlachttiere. Durch den Umgang mit beiden, behauptet er, hat er flüssig englisch sprechen gelernt. Nach seinen Vorträgen auf Kongressen in Großbritannien und vor allem in Australien melden sich immer wieder Kollegen zu Besuch bei ihm oder in der Bucher Klinik.

Dass Dr. Borgwardt ein musischer Mensch ist, hat er uns in der Klinik vorgelebt. Den Chorgesang
hat er nach 50 Jahren aufgegeben, d. h. er singt nur noch bei Aufführungen, wenn er die Stimme auswendig beherrscht. Und wenn er dann noch Zeit findet, führt er eine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter und Freunde an markante historische Stätten Berlins (Friedhöfe, Siegessäule) und referiert.

Acht Jahrzehnte eines Lebens sind freudiger Anlass, auch Danke zu sagen. Danke für einen Menschen, der es durch seine ärztliche Kunst verstand, junge Leben zu erhalten, deren Gesundheit wiederherzustellen und sie wieder in die Arme beglückter Eltern zu führen.

Gratulation zu seinem Ehrentag! Ich wünsche ihm, zugleich mit allen, die ihm Gutes sagen möchten, im Schoße seiner Familie mit "globalisierten" Enkelinnen, im Kreis seiner Freunde, weiterhin eine glückliche Zeit.

K. Gdanietz