Kinderchirurgie in Not
- spezialisierte Versorgung chirurgisch kranker Kinder ist in Deutschland nicht mehr finanzierbar -

Recht auf kindgerechte Medizin: Keine kleinen Erwachsenen

Die chirurgische Behandlung von Kindern erfordert spezielle und besonders schonende Techniken, denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie erleiden andere Erkrankungen als Erwachsene und reagieren anders auf Erkrankungen und auf Behandlungen. Sie haben anatomische und physiologische Besonderheiten, die im Unterschied zum Erwachsenenalter ein spezielles operatives Vorgehen erfordern. Kindgerechte Medizin beinhaltet deshalb die Behandlung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen durch Ärzte, die speziell für die Besonderheiten dieser Altersgruppen ausgebildet wurden und entsprechende klinische Erfahrungen vorweisen können. Darüber besteht internationaler Konsens.

Die „Kyoto Declaration of Pediatric Surgery" der World Federation of Associations of Pediatric Surgeons (WOFAPS) fordert, dass „jedes erkrankte Kind das Recht hat, in einer speziell auf Kinder ausgerichtete Einrichtung durch Kinderärzte und Kinderchirurgen behandelt zu werden." (1).
Auch die Charta für Kinder im Krankenhaus der European Association for Children in Hospital (EACH) spricht den Kindern das Recht auf bestmögliche medizinische Behandlung durch spezialisiertes ärztliches und Pflegepersonal als fundamentales Recht zu (2, 3).

Deutsche Realität: Viele Kinder nicht von Kinderchirurgen operiert
Die Realität in Deutschland sieht gegenwärtig allerdings anders aus: laut Statistischem Bundesamt wurden 2013 in Deutschland fast ein Viertel der Säuglinge, ca. ein Drittel der Kleinkinder (1-5 Jahre), mehr als die Hälfte der Schulkinder (5-10 Jahre) und mehr als zwei Drittel der Jugendlichen (10-15 Jahre) von nicht speziell für diese Altersgruppen ausgebildeten Chirurgen, also nicht von Kinderchirurgen operiert. Die Ursachen dafür liegen offensichtlich vor allem in der Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin, speziell der Kinderchirurgie und der inhomogenen Versorgungsstruktur. Der Gesetzgeber, kommunale Entscheidungsträger und einige Klinikträger müssen hierfür verantwortlich gemacht werden.

Unterfinanzierung mit System: Die meisten Kinderchirurgien können Kosten nicht decken
Bundesweit sind die Mehrzahl der kinderchirurgischen Kliniken und damit auch die Notfallversorgung für Kinder nicht mehr kostendeckend zu betreiben. Das liegt in erster Linie an den unzureichenden Erlösen aus dem DRG-System, in dem die gegenüber der Erwachsenenmedizin deutlich höheren Vorhaltekosten und der erhöhte Personalbedarf nicht berücksichtigt sind. Derzeit betreut eine kinderchirurgische Klinik in Deutschland durchschnittlich 152.000 Einwohner bis 17 Jahren und behandelt 1.400 Patienten pro Jahr. Um eine solche Klinik jedoch kostendeckend betreiben zu können, wären unter den gegenwärtigen Bedingungen mindestens 2.500 Fälle erforderlich (Quelle: GKinD, Statistisches Bundesamt).
Auch große kinderchirurgische Kliniken der Maximalversorgung und Universitätskliniken sind gegenwärtig nicht mehr kostendeckend zu finanzieren. Vom Verband der Universitätsklinika Deutschlands e.V. wird für 2014 eine Unterfinanzierung der kinderchirurgischen Kliniken an den Universitäten von 5 Millionen Euro angegeben.
Zudem führen Disproportionen in der Versorgungsstruktur zwischen Ballungszentren mit einer relativen Überversorgung und Flächenregionen mit relativer Unterversorgung zu erheblichen Problemen in der Finanzierbarkeit von spezialisierten kinderchirurgischen Leistungen.
Die Folge ist meist eine Reduktion der Personalkapazität mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Struktur der kinderchirurgischen Kliniken mit zwangsläufiger Verschlechterung der Versorgungsqualität. Gleichzeitig werden dadurch die Voraussetzungen für die Ausbildung des kinderchirurgischen Nachwuchses erheblich verschlechtert und die bedarfsgerechte kinderchirurgische Versorgung für die Zukunft wird dadurch ernsthaft infrage gestellt.

Stellschrauben: Finanzierung und Qualität
Konkret sind vom Gesetzgeber geeignete Maßnahmen zu fordern, um die ausreichende Finanzierung der Kinderchirurgie auf der Basis des DRG-Systems sicherzustellen. Die Sicherung einer bedarfs- und qualitätsgerechten kinderchirurgischen Versorgung muss für Krankenhausträger zur Verpflichtung gemacht werden. Von den Ländern ist zu fordern, dass die Versorgungsstruktur auf kommunaler Ebene aktiv so gestaltet wird, dass in den Ballungszentren Überversorgung beseitigt und eine sinnvolle Konzentration kinderchirurgischer Versorgung ermöglicht werden, um die Wirtschaftlichkeit kinderchirurgischer Kliniken sicherstellen zu können. Gleichzeitig sind verbindliche Wege zu eröffnen, um eine wirtschaftliche flächendeckende Versorgung durch Kooperationsmodelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung realisieren zu können.
Auch in Zukunft muss allen Kindern ihr Recht auf eine optimale Betreuung durch medizinische Spezialisten gewährt werden. Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft.

 


Quellen:

1. http://www.wofaps.org/content/kyoto-declaration-pediatric-surgery
2. http://old.akik.de/charta/charta8.htm
3. http://www.each-for-sick-children.org


Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie

Gegründet im Jahr 1963, schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken, Abteilungen und als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen.

Pressekontakt: presse(at)dgkch.de